Alexandra – ein Ort, an dem die Menschen noch glücklich sind
In der westlichen Welt haben die Menschen ja eigentlich immer was zu meckern. Das Wetter ist nie gut – es ist entweder zu heiß oder zu kalt, zu nass oder zu trocken. Das iPhone ist nicht das neueste und die Apps stürzen dauernd ab. Das Benzin für das nagelneue, sauteure Auto ist zu teuer. Der Job nervt – die Kunden wollen ständig Dinge, die total unrealistisch sind.
In Alexandra ist das anders.
Alex ist ein Stadtteil von Johannesburg. Alex beherbergt auf einer Größe von 8 Quadratkilometern knapp 1 Million schwarze Einwohner. Alex ist eines der ärmsten und angeblich gefährlichsten Gebiete in Südafrika. Alex ist ein Township.
Das Township ist eines der ältesten im Gebiet Johannesburg und wird nur durch eine Stadtautobahn von Stadtteilen wie Sandton und Rosebank getrennt, die sehr viel entwickelter und reicher sind. Hier gibt es abschließbare Türen und Elektrozäune. In Alex leben die Menschen in Wellblechhütten, dicht an dicht. Das Abwasser läuft einfach zwischen den Häusern entlang zum nächsten Loch im Boden. Strom gibt es nur Pre-Paid, Wasser ist dafür kostenlos. Die meisten Bewohner Alex’ sind arbeitslos, zahnlos und haben nur sehr wenig zu essen. Aber die Menschen hier wirken so viel glücklicher als in Deutschland oder den USA.
Fahrradtour durch Alex
Während unserer 4-stündigen Fahrradtour durch Alexandra zeigte uns unser Tourguide Jeffrey seine Heimat. Jeff ist hier geboren und aufgewachsen und wird vermutlich bis ans Ende seiner Tage in Alex leben. Die Menschen hier bilden eine Einheit, egal ob sie sich wirklich kennen oder nicht. Am Anfang der Tour lernten wir die wichtigste Grundregel im Township: Du wirst gegrüßt, du grüßt zurück. In Alex werden 7 verschiedene Sprachen gesprochen. Aber Jeff wollte uns nicht überfordern, also hat er uns nur „Hallo“ auf Zulu beigebracht. Natürlich können die Menschen hier auch Englisch, aber ich freue mich in Deutschland ja auch mehr über jemanden, der mich auf Deutsch begrüßt als auf Englisch. Alternativ geht natürlich auch die Begrüßung per Handschlag. Vor allem die Kinder auf der Straße freuten sich wie kleine Schneekönige, wenn wir im Vorbeifahren „High Five“ gemacht haben.
Leben in Alex
Der erste Stopp der Tour war Jeff’s Elternhaus. Hier ist er geboren und aufgewachsen und hat erst vor Kurzem ein neues Haus für sich und seine Familie gebaut – direkt nebenan, um das alte Wellblechhaus vermieten zu können. Das neue Haus ist aus Backsteinen und Jeff ist mächtig stolz darauf. Grundsätzlich bestehen die Häuser im Township fast immer aus nur einem Raum, in dem geschlafen, gegessen, gespielt und gelacht wird. Der Fernseher, wenn er vorhanden ist, scheint ununterbrochen zu laufen, auch wenn niemand im Haus ist. Tagsüber halten sich die Menschen lieber draußen auf, sitzen zusammen in den winzigen Gassen zwischen den Hütten, die du von der Straße aus gar nicht sehen kannst, und lesen Zeitung oder rauchen Gras.
Neben den unzähligen Wellblechhütten und Backsteinhäusern gibt es in Alex auch sogenannte Hostels, die in den 1960er Jahren gebaut wurden. Die damalige Regierung wollte Familien auseinanderreißen und Männer und Frauen getrennt in den Hostels unterbringen – irgendwie eine noch bescheuertere Art der Apartheid. Die Proteste gegen dieses Vorhaben waren allerdings so groß, dass die Pläne 1979 wieder über den Haufen geworfen wurden. Heute sind die Hostels trotzdem nach Geschlechtern getrennt bewohnt und die Bewohner werden hier über Sex und HIV aufgeklärt.
Arbeiten in Alex
Die meisten Menschen in Alex sind arbeitslos. Ich hatte das Gefühl, dass diejenigen, die einen Job haben, entweder Friseur oder Taxifahrer sind. Taxifahrer ist vermutlich der häufigste Beruf im Township. Und dann gibt es noch die Bierbrauer.
Eine der Brauereien war unser nächster Stopp auf der Tour. Jeff lud uns ein, im Pub Platz zu nehmen, der direkt an die Brauerei grenzt. Bier brauen und trinken im Township ist ein Ritual. Das Bier wird grundsätzlich nur von Frauen gebraut – die Männer dürfen lediglich die Zutaten auftreiben (und für Fotos posieren). Aber es sind natürlich die Männer, die das Bier als erste probieren dürfen. Und nur, wenn das Bier schmeckt, dürfen sich auch Freunde, Verwandte und als letzte die Frau einen Schluck genehmigen. Natürlich durften auch wir das Bier probieren. Das Getränk ist eher bräunlich und sehr trüb und roch schon nicht besonders gut, aber ich wollte natürlich trotzdem wissen, wie es schmeckt. Ich denke, das war das erste und letzte Mal, dass ich dieses Bier getrunken habe – obwohl du es tatsächlich im Supermarkt kaufen kannst. Mir schmeckte das Bier überhaupt nicht. Es gab aber auch eine alkoholfreie Variante mit Bananengeschmack, die wiederum sehr lecker war.
Lernen in Alex
Nachdem wir uns mit Bier gestärkt hatten, ging die Tour weiter zu einigen Sehenswürdigkeiten Alex’ wie zum Beispiel der ersten Grundschule, die zum Kulturerbe erklärt wurde und der ersten staatlich geförderte Highschool im Township. Letztes Jahr haben hier 88% der Schüler ihren Abschluss nach der 10. Klasse geschafft – dieses Jahr werden es vermutlich noch mehr sein. Darauf ist Alex mächtig stolz und preist das Ergebnis direkt am Eingang an der Wand an. Nachdem ich das Foto geschossen hatte, sagte Jeff uns, dass fotografieren hier verboten sei, weil es eine staatliche Schule ist. Nur mit ausdrücklicher Erlaubnis dürfen Fotos geschossen werden – und die haben wir natürlich nicht bekommen.
„Shoot Me!“
A propos schießen – eine weitere wichtige Sache, die Jeffrey uns zu Beginn der Tour erklärte: Wenn die Menschen uns „Shoot Me“ zurufen, dann meinen sie damit nicht, dass wir sie erschießen sollen. Sie wollen lediglich, dass wir ein Foto von ihnen machen. Ein Mal hat ein Mann mich tatsächlich mitten auf der Straße darum gebeten – da habe ich natürlich nicht nein gesagt.
Grundsätzlich solltest du die Menschen, die du fotografieren willst, immer vorher fragen, ob das ok ist. Es wird vermutlich nie jemand nein sagen – höchstens etwas Geld verlangen. Aber das ist uns auf unserer Tour nicht passiert.
Nelson Mandela in Alex
Unser nächster Stopp war das Haus, in dem Nelson Mandela einmal gewohnt hat. Irgendwie scheint Mandela in jedem Township mal gewohnt zu haben – in Soweto gibt es auch ein Nelson Mandela Haus. Das Haus in Alex war allerdings das erste, in dem er wohnte, nachdem er zu Hause ausgezogen bzw. rausgeschmissen worden war. Er wohnte damals bei einem Ziehvater, der ihn während seiner Abwesenheit mit einer fremden Frau verheiratete. Als Mandela davon erfuhr und sich dagegen wehren wollte, stellte man ihn vor die Wahl: entweder heiraten oder das Haus verlassen. Und so kam Mandela 1941 nach Alex. Auch sein Haus wurde zum Kulturerbe erklärt und sieht von außen noch genau so aus wie damals.
Township-Food
Am Ende unserer Tour gab es noch ein gemeinsames Mittagessen. Wir durften aussuchen, was wir essen wollten, und entschieden uns für typisches Township-Food. Also fuhr Jeff mit uns in eine kleine Imbissbude, in der wir Rindfleisch und Wurst vom Grill und Pap serviert bekamen. Gegessen wurde mit den Händen, aber das Essen reichte vorne und hinten nicht für unsere Gruppe hungriger Europäer. Und ich bin davon überzeugt, dass die Bewohner von Alexandra noch weniger zu essen haben.
Aber die Menschen hier beschweren sich nicht über zu wenig Essen, Krankheiten, fehlende Zähne oder beschissene Jobs, wenn sie denn einen haben. Jeder Mensch, dem wir auf der Straße begegnet sind, hatte ein Lächeln im Gesicht und wir wurden immer sehr freundlich gegrüßt.
Vielleicht sollten wir unsere Erste-Welt-Probleme einfach mal vergessen und uns über das freuen, was wir haben. Denn das ist wesentlich mehr, als die Menschen in den Townships sich überhaupt vorstellen können.